Rückzug verstehen und vermeiden
Wie es trotz Krisenstimmung gelingt, im Gespräch zu bleiben

Die gute Nachricht gleich vorweg: Sich einem disharmonischen Klima entziehen zu wollen, entspricht zunächst einmal unserem natürlichen Bedürfnis nach Schutz und Sicherheit. Simples Beispiel: Uns wird kalt. Weil Kälte eine Gefahr für den Organismus darstellt, folgen wir in der Regel instinktiv dem Rückzugsimpuls und bringen uns ins Warme. Doch auch aus vielen anderen, für Leib und Leben weniger bedrohlichen Gründen möchten wir plötzlich allein sein und manchmal am liebsten sogar auf (un)bestimmte Zeit hinter einer dichten Nebelwand verschwinden.

 

Tschüss erstmal: Manchmal reicht es einfach – und das ist auch gut so.

Der Wunsch nach Rückzug ist besonders deutlich spürbar, sobald es in der eigenen Komfortzone droht, ungemütlich zu werden. Wann das der Fall ist? Manche Menschen wollen zum Beispiel „bloß weg hier“, wenn ein Gespräch sie langweilt. Andere machen einen Rückzieher, sobald eine Entscheidung ansteht, sie sich von einer Person bedrängt oder in einer für sie schwierigen Situation gestresst fühlen. Es kann aber auch sein, dass sich jemand scheinbar ohne erkennbaren Grund zurückzieht. Ganz einfach, weil sie oder er eine Zeitlang für sich sein und – wovon auch immer – eine Auszeit haben möchte. Verständlich.

Gelegentliche Rückzüge sind notwendig und haben etwas Positives. Schließlich dienen sie nicht nur der psychischen Balance, sondern entfalten „bei korrekter Anwendung“ durchaus ihr heilsames (selbst)reinigendes Potenzial. Daher ist es im Grunde sogar ein wenig bedauerlich, dass wir uns nicht in jedem Moment einfach mal zurückziehen können, wie beispielsweise im Job. Hier muss die Psyche in diversen Situationen eine Anpassungsleistung gemäß den professionellen Anforderungen erbringen und schnellstmöglich Konfliktlösungen anstreben, selbst dann, wenn eine Situation nur schwer auszuhalten ist. Andernfalls, würden wir uns etwa in der Auseinandersetzung mit Mitarbeitenden für Tage aus dem Staub machen, hätte das gewiss negative Konsequenzen auf unsere Karriere.

Rückzug verstehen und vermeiden

Zurückgelassene stehen in dichten Nebelbänken aus negativen Gedanken

Natürlich hängt unser Bedürfnis nach Rückzug auch von unserer persönlichen Tagesform ab. Mal reagieren wir offener und mal verschlossener, wenn wir kritisiert werden oder sich ein Konflikt anbahnt. Und meist bringen wir in unseren Beziehungen das nötige Verständnis auf, wenn sich unser Gegenüber für eine Weile aus dem Staub macht, lieber einmal um den Block oder zum Sport geht, als sich der Situation zu stellen. Idealerweise ist der Ärger bald verraucht und aus den Streithähnen werden wieder (Fried)Liebende. Es kommt aber auch vor, dass längere Phasen schöner und intensiv erlebter Zweisamkeit einen Rückzug erforderlich machen. Gerade so, als bräuchten wir dann eine „Nur-Ich-Zeit“, um das „Wir-Glück“ fassen und seelisch-geistig „verstoffwechseln“ zu können … Und doch: Schmerzhaft sind Rückzüge allemal. Denn sobald sich eine(r) der beiden entzieht, sind die Zurückgelassenen gezwungen, sich mit Verlassenheits- und Verlustängsten, Kontrollverlust und dem Gefühl der Ohnmacht auseinandersetzen.

 

Rückzug als Machtdemonstration: Das Zeichen für den nächsten Reifeschritt

Kritisch, leidvoll und bedrohlich wird es in Beziehungen, wenn die Partnerin oder der Partner das Sich-Entziehen als Dominanzwerkzeug bewusst zielgerichtet einsetzt. In dem Fall dient der Rückzug dem reinen Selbstzweck, mitunter sogar als Waffe im Kampf um die „Oberhand“ in der Verbindung. Das inszenierte Entschwinden soll den anderen Menschen zu einem bestimmten Verhalten drängen. Die emotionale Zermürbung durch Abwesenheit kann solange gehen, bis die Zurückgelassenen am Ende nur noch dankbar sind, wenn die Partner doch wieder auftauchen und erschöpft nachgeben. Rückzüge haben dann ihren an sich natürlich nützlichen Charakter verloren – und entwickeln sich von einem lästigen Reaktionsmuster zu einem ernsten Problem bis hin zum manifesten Trennungsgrund. Ein möglicher Lösungsweg kann die ehrliche Auseinandersetzung mit seinen eigenen dysfunktionalen Kommunikationsstrukturen aber auch mit denen innerhalb der Beziehung sein.

 

Raus aus der Rückzugsfalle: Eine neutrale Person kann den Weg zueinander ebnen

So gut wie jede Lebenssituation birgt das Risiko in sich, unangenehm zu werden. Und zwar so sehr, das wir uns umgehend aus dem Staub machen wollen. Fühlen wir uns bedroht, entscheiden wir uns instinktgemäß für Angriff, Verteidigung und Fluch. In gewisser Weise  gehört auch das Verstecken bzw. das Verbergen dazu. So können beispielsweise die Erwartungen in der und an die Partnerschaft als derart gefährlich wahrgenommen werden, dass diese das eigene System in größte Alarmbereitschaft versetzen. Die Gemüter kochen hoch, die Diskussion wird von Emotionen getrieben und es hagelt Vorwürfe. Stehen weiter keine adäquaten Strategien im Umgang mit Konflikten zur Verfügung, fehlt ein elementares kommunikatives Bindeglied. Die Exit-Strategie: Rückzug. Kein Problem, solange der Rückzug bestenfalls mit einer präzisen Zeitangabe/Dauer kommuniziert wird, das Paar sich auf die vorübergehende Distanz verständigt und sich so um eine objektivere Haltung bemüht. Auf diese Weise bietet sich den Streitenden die Möglichkeit, sich (auf sich) zu besinnen, die eigenen Gefühle zu klären, sich gedanklich zu sortieren und sich wieder neu zu begegnen: ruhiger, mit gegenseitigem Verständnis, vielleicht sogar ein wenig geläutert. Schließlich liegt uns was an unserem Gegenüber und wir möchten aneinander wachsen. Oder nicht?

Viele Menschen in Partnerschaften haben schon erlebt, wie es sich anfühlt, wenn sich der Lieblingsmensch zurückzieht. Wann sich das Gegenüber entfernt – ob gleich zu Beginn einer Beziehung oder erst im späteren Verlauf – lässt sich jedoch meist nicht vorhersehen. Wichtig ist, sich die emotionale Gefahr bewusst zu machen, die jeder Rückzug mit sich bringt. Dies gelingt am besten, indem wir rechtzeitig die vermittelnde Unterstützung einer neutralen und professionellen Paarberatung in Anspruch nehmen und so unnötiges Leid verhindern. In zielführenden Gesprächen wird die Beziehung auf ein sicheres Fundament gestellt, sodass gegenseitiges Verständnis und Vertrauen wachsen können.

 

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